Ein belebter Hafenpier in Istanbul. Credits: Samet Kurtkus

Geflüchtet: „Bei der Sprache könnte es mehr Toleranz geben“

In der Türkei hat Dr. Turan promoviert, bis er nach dem Putschversuch nach Deutschland floh. Heute ist er Stipendiat der Philipp Schwartz-Initiative, die gefährdete Forschende unterstützt. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, wie es ist, in einem anderen Forschungsland neu anzufangen. 

Foto: Ein belebter Hafenpier in Istanbul. Credits: Samet Kurtkus

Heute forschst du an einer Universität in Deutschland als Postdoktor. Woran?  

Ich beschäftige mich mit dem Leseverständnis und dem Wortschatz von Kindern in der vierten Klasse. 

Bis vor einigen Jahren hast du noch in der Türkei gelebt und im Bereich Grundschullehramt promoviert. 2017 bist du nach Deutschland geflohen. Warum? 
Der Auslöser war der Putschversuch am 15. Juli 2016. Zunächst habe ich meinen Job verloren, weil ich mich für die Demokratie und gegen Erdogan ausgesprochen habe. Nach dem Coup kam die Polizei zu mir nach Hause, hat alles durchsucht und mich verhaftet. Für zehn Monate musste ich ins Gefängnis, dabei habe ich nie eine Schuld begangen. Im Gefängnis waren die Zellen total überfüllt, wir hatten nicht immer Wasser und Essen, wir wurden manchmal in die Kälte nach draußen geschickt, ohne Jacke und Schuhe. Bei gesundheitlichen Problemen kam kein Arzt. Meine Familie wusste nicht, ob es mir gut geht. 

Nach der Zeit im Gefängnis konnte ich nicht mehr rausgehen, denn die Menschen kannten mich aus der Zeitung. Ich war als Terrorist abgestempelt worden – auch in den Medien. Deshalb habe ich keine Arbeit mehr gefunden. Als mir ein Bekannter erzählte, dass die Polizei mich wieder verhaften möchte, haben meine Frau und ich entschieden, dass ich ins Ausland gehen werde. Das hätte ich nicht noch einmal ausgehalten. 

Wie sah deine Flucht aus?
Ich wusste, dass ich allein keine Chance hätte, denn ich durfte das Land eigentlich nicht verlassen. Deshalb bin mit der Hilfe von Schmugglern geflohen, erst mit dem Boot nach Griechenland und dann mit dem Flugzeug nach Deutschland. Elf Monate später ist meine Familie im Rahmen der Familienzusammenführung nachgekommen. 

Was hat dieser Neuanfang für Deine Karriere als Wissenschaftler und für deine Forschung bedeutet? 
In der Türkei hatte ich einen guten Job und war auf dem Weg nach oben. Wäre ich zwei Monate länger geblieben, ohne meinen Job zu verlieren, wäre ich Assistenz-Dozent geworden. Bestimmt wäre ich dann jetzt schon Dozent, vielleicht Professor. Hier in Deutschland wurde mir zwar mein Doktortitel anerkannt, aber dennoch weicht das Schulsystem zu sehr ab, als dass ich hier als Grundschullehrer arbeiten könnte. Die Uni hat mir angeboten, hier nochmal zu studieren. Aber das geht nicht. Ich bin nicht mehr jung und habe eine Familie, um die ich mich kümmern muss. Aber trotzdem bin ich sehr zufrieden und denke immer: Wenn ich noch in der Türkei wäre, würde ich Angst um die Zukunft meiner Kinder haben. Aber in Deutschland nicht. 

Du musstest dich in ein ganz anderes Wissenschafts-System integrieren und hast schließlich ein Stipendium erhalten. Wo gibt es Schwierigkeiten? 
Schwierigkeiten macht häufig die Sprache. Als Grundschullehrer verstehe ich das, ich wäre mit meiner Sprache aktuell kein guter Lehrer. Aber in anderen Bereichen wird gar nicht so viel gesprochen, bei vielen wissenschaftlichen Projekten ist Englisch Standard. Trotzdem ist sogar ehrenamtliche Arbeit schwierig zu finden. Da denke ich manchmal, es könnte ein bisschen mehr Toleranz geben. Außerdem habe ich gemerkt, dass  es für manche Menschen einen großen Unterschied macht, warum man hier ist. Ich hatte manchmal Probleme, bis ich erklärt habe, dass ich nicht für Geld hier bin.

Wenn Wissenschaft gefährlich wird

Wir haben Interviews mit weiteren geflüchteten Forschenden geführt. Hier findest du die Gespräche:

„Es gibt immer Leute, die mich belehren wollen“
Dr. Inal-Cekic arbeitete als Gastwissenschaftlerin in Deutschland, als der Putschversuch die Türkei veränderte. Weil sie eine regierungskritische Petition unterschrieben hatte, fürchtete sie Probleme bei einer Rückkehr – und blieb. Mit uns sprach die Stadtplanerin darüber,  wie schwierig es ist, ihr Heimatland aus dem Exil zu beforschen.
Zum Interview mit Dr. Inal-Cekic

„Für gute Wissenschaft müssen Menschen sicher leben.“ 
Als in Kamerun 2017 der Konflikt zwischen Separatisten und Regierung eskalierte, floh Dr. Tingum* nach Deutschland. Mittlerweile leitet der Geograf ein Forschungsprojekt an einer deutschen Universität. Im Interview berichtet er von kulturellen Unterschieden im Wissenschaftssystem und wie es ihm damit geht, für seine Arbeit regelmäßig in seine Heimat zurückzukehren.
Zum Interview mit Dr. Tingum

Gab es Organisationen, die dich unterstützt haben? 
Ich wollte nicht immer Hilfe bekommen, aber es ist schwierig, als Geflüchteter Arbeit zu finden. Dann habe ich etwas über das Philipp Schwartz-Stipendium herausgefunden und seit einem Jahr bin ich Stipendiat und untersuche, wie sich das Leseverständnis durch digitale Tools fördern lässt. Dabei hat mir eine Professorin enorm geholfen. Ich habe ihr eine Mail geschickt und meine Geschichte erzählt, aber nicht persönlich mit ihr gesprochen. Und sie hat einfach gesagt: Okay, wir melden Ihr Stipendium an. 

Welche Wünsche hast du für deine Zukunft als Wissenschaftler? Welche Wünsche hast du für die Wissenschaft in der Türkei?
In einem Jahr läuft mein Stipendium aus und dann muss ich mir wieder etwas Neues suchen. Am liebsten möchte ich weiter an einer Universität arbeiten, egal welche. Dort vielleicht an einem Forschungsprojekt mitwirken und Vorlesungen besuchen. Falls das nicht klappt, möchte ich als Türkisch-Lehrer arbeiten oder an einer offenen Ganztagsschule. Für die Türkei gilt: Ich glaube, die wissenschaftlichen Methoden sind schon ganz gut, auch wenn Wissenschaft immer Entwicklung ist. Aber normalerweise sollten für einen Job die Talente zählen, die ein Mensch hat. Das ist jetzt nicht mehr wichtig. Entscheidend ist die politische Meinung. Das muss sich ändern und erst danach kommt echte Wissenschaft.

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