Eine Frau blickt von innen auf den Hafen und das Meer. Credits: Unsplash/Maria Teneva

Geflüchtet: „Es gibt immer Leute, die mich belehren wollen“

Dr. Inal-Cekic arbeitete als Gastwissenschaftlerin in Deutschland, als der Putschversuch die Türkei veränderte. Weil sie eine regierungskritische Petition unterschrieben hatte, fürchtete sie Probleme – und blieb. Mit uns sprach die Stadtplanerin darüber, wie schwierig es ist, ihr Heimatland aus dem Exil zu erforschen. 

Foto: Ein neues Land, neue Möglichkeiten? Oder ein ungewisser Blick in die Zukunft? Credits: Unsplash/Maria Teneva

Du bist Einstein Research Fellow an der Humboldt Universität in Berlin. Woran forschst du aktuell? 
Meine Schwerpunkte liegen im Bereich urbane Bewegungen und städtische Güter. Im Moment versuche ich, die Frage zu beantworten, warum sich Bürger in einer informellen Siedlung nicht an einem Projekt beteiligen, das ihr Leben in der Stadt und Nachbarschaft formen könnte.

Bis vor vier Jahren hast du noch als assoziierte Professorin in Istanbul gearbeitet. Was war anders als jetzt?
Zu meiner heutigen Arbeit an der Humboldt Universität gibt es keine großen Unterschiede. Ich halte Vorlesungen, forsche, schreibe Artikel und organisiere Events. Die Arbeit ist fast die Gleiche, auch wenn ich hier nicht die gleiche Position habe. Wenn man tatsächlich als Stadtplaner arbeitet, ist das natürlich anders. Aber ich bin Akademikerin und war das auch in der Türkei. Vor meiner jetzigen Arbeit habe ich als Mitarbeiterin an der Hafencity Universität an einem Horizon 2020 Projekt mitgearbeitet [Anmerkung der Redaktion: Horizon 2020 ist das bisher größte EU-Förderprogramm für Forschung und Innovation und läuft bis 2020]. Ich war Teilzeit beschäftigt und nur für den Projektbericht verantwortlich. Deshalb war die Arbeit tatsächlich weit unter meiner Qualifizierung. Aber ich brauchte einen Job. 

2016 bist du nach Deutschland ausgewandert. War das eine schwierige Entscheidung?
Ja, natürlich. Allerdings bin ich schon kurz vor dem Putschversuch 2016 mit meiner Tochter nach Deutschland gekommen. 2013 war ich schon mal als Gastwissenschaftlerin hier und mein damaliger Professor bot mir an, dass ich noch mal kommen könnte. Er hatte die Entwicklung in der Türkei verfolgt und gab mir den Rat, mein Heimatland erstmal aus der Ferne zu beobachten. Ich wusste selbst, dass bald etwas in der Türkei passieren würde, also habe ich mich für das Jahr als Gastwissenschaftlerin beworben.

Nach dem Putschversuch habe ich Deutschland nicht mehr verlassen. Ich wusste, dass ich zurück in der Türkei Probleme bekommen würde, denn ich hatte eine Friedenspetition unterzeichnet. Deshalb habe ich beschlossen, zu bleiben, obwohl mein Mann noch in der Türkei war. Der ist im Dezember 2016 nachgekommen. Es war echt Glück, dass ich schon in Deutschland war, denn viele meiner Kollegen und Freunde sitzen in der Türkei fest. Auch die, die Stipendien in Deutschland bekommen haben. 

Was hat dieser Neuanfang für Deine Karriere als Wissenschaftlerin und für deine Forschung bedeutet?
In der Türkei hatte ich eine Perspektive, denn ich hatte eine Stelle als assoziierte Professorin und wusste, dass ich mal Professorin werde, wenn ich meinen Job gut mache. Daran hatte ich keine Zweifel. Hier zu bleiben bedeutet für mich, keine Sicherheit für die berufliche Zukunft zu haben. Ich ziehe in Erwägung, aus dem akademischen Bereich auszusteigen, wenn ich einen anderen Job finde. In der Türkei hätte ich da nie drüber nachgedacht. Es war mein Traumberuf, Akademikerin zu sein. 

Wenn Wissenschaft gefährlich wird

Wir haben Interviews mit weiteren geflüchteten Forschenden geführt. Hier findest du die Gespräche:

„Bei der Sprache könnte es mehr Toleranz geben“
In der Türkei hat Dr. Turan promoviert, bis er nach dem Putschversuch nach Deutschland floh. Heute ist er Stipendiat der Philipp Schwartz-Initiative, die gefährdete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterstützt. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, wie es ist, in einem anderen Forschungsland neu anzufangen. 
Zum Interview mit Dr. Turan

„Für gute Wissenschaft müssen Menschen sicher leben.“ 
Als in Kamerun 2017 der Konflikt zwischen Separatisten und Regierung eskalierte, floh Dr. Tingum* nach Deutschland. Mittlerweile leitet der Geograf ein Forschungsprojekt an einer deutschen Universität. Im Interview berichtet er von kulturellen Unterschieden im Wissenschaftssystem und wie es ihm damit geht, für seine Arbeit regelmäßig in seine Heimat zurückzukehren.
Zum Interview mit Dr. Tingum

Wissenschaft ist eigentlich ein internationales Business. Trotzdem hat die Integration in deinem Fall also nicht optimal geklappt. 
Offiziell ist meine Ausbildung vollständig anerkannt worden, aber das macht sich leider nicht mit einer Habilitation bezahlt. Wenn es um soziale Akzeptanz geht, gibt es immer Leute, die mich belehren wollen, weil ich ja aus einem „Dritte-Welt-Land“ komme. Sie versuchen zum Beispiel, mir zu erklären, was ein Impact Factor ist. Auch dann noch, wenn ich erzähle, dass ich selbst Herausgeberin eines Journals in der Türkei bin. Aber das ist die Ausnahme. Generell habe ich offene Menschen kennengelernt, die meinen kulturellen Hintergrund respektieren. 

Wie sieht es mit deinem Forschungsbereich aus. Musstest du dich auf kulturelle Unterschiede einstellen? 
Mein Forschungsfeld ist immer noch die Türkei. Ich forsche momentan zu Istanbul, weil ich die Stadt sehr gut kenne. Wenn es um Berlin geht ist mein Wissen limitiert. Da gibt es hunderte andere Stadtplaner, die mehr darüber wissen. Das ist der Konflikt dabei: Ich arbeite in Berlin, beschäftige mich aber mit der Türkei. Ich arbeite immer noch an der Feldforschung, die ich dort gemacht habe. Die Orte kann ich aber nicht mal mehr besuchen. 

Die Arbeit machst du im Rahmen eines Einstein Research Fellowship, also in einem Programm für Spitzenwissenschaftler:innen. Welche Unterstützung hast du auf dem Weg dahin noch bekommen? 
Nachdem mir klar wurde, dass ich nicht mehr in die Türkei zurück kann, habe ich mich erfolgreich für ein sechsmonatiges Stipendium der Philipp Schwartz-Initiative beworben. In dieser Zeit konnte ich mich auf die Dinge konzentrieren, die ich fertig stellen wollte. Danach habe ich das Stipendium der Rosa-Luxemburg-Stiftung bekommen, habe es aber nicht bis zum Ende genutzt, weil dann das Angebot von an der Hafencity Universität Hamburg kam. Die Stipendien waren meine Sicherheit, bis ich selbst einen Job gefunden hatte.  

Welche Wünsche hast du für deine akademische Zukunft als Wissenschaftlerin, welche für die Wissenschaft in der Türkei?
Für die Schüler und Studenten, für meine Freunde und Kollegen, hoffe ich, dass kritisches Denken wieder möglich wird. Denn im Moment kann sich niemand frei politisch äußern. Für meine eigene Zukunft habe ich natürlich auch Visionen: Ich möchte weiter Forschung machen, das ist mein Traumjob, seit ich mit meinem Studium angefangen habe. Ich wünsche mir, dass ich weiter forschen kann und dass es irgendwie finanziert wird.

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